Bestimmung der Unverzüglichkeit bei Kündigung eines Schwerbehinderten nach Zustimmung des Integrationsamtes

Welche Zeitdauer fällt noch unter den Begriff der Unverzüglichkeit bei einer Kündigung eines Schwerbehinderten, welche der Zustimmung des Integrationsamtes bedarf?

Vorliegend ist der Streitgegenstand die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Der Kläger ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Der Beklagte (Arbeitgeber) beantragte beim Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung zu einer Kündigung aus wichtigem Grund, mithin einer nicht ordentlichen Kündigung. Das Integrationsamt teilte mit, dass sie innerhalb der zwei-Wochen-Frist des § 91 III SGB IX keine Entscheidung getroffen haben. Dadurch gilt die Zustimmung als gegeben. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber außerordentlich, behelfsweise fristgerecht, zu dem nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Kläger legte gegen die Kündigung fristgerecht Klage ein. Ferner machte er Lohnansprüche geltend. Er macht geltend, dass ein Grund für eine nicht ordentliche Kündigung fehlt. Ferner führt er an, dass die Kündigung seitens seines Arbeitgebers nicht unverzüglich im Sinne des § 91 V SGB IX ausgesprochen wurde.

Die Beklagte führte an, dass ein wichtiger Grund wegen des Diebstahls begründet sei. Ferner, dass keine Ansprüche auf Lohn bestehen.

Das Arbeitsgericht Erfurt gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Beklagten zurück. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Stellt der Arbeitgeber fristgerecht einen Antrag, und läuft die dafür vorgesehene zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. II, S. 1 BGB nach der Zustimmung des Integrationsamtes ab, so muss die Kündigung unverzüglich ausgesprochen werden (§ 91 Abs. 5 SGB IX). Ist eine Zustimmung erteilt worden, beginnt keine neue Frist des § 626 II BGB zu laufen. Die sozialrechtliche Norm des § 91 V SGB IX berücksichtigt ferner, dass es Arbeitgebern nicht immer möglich ist, innerhalb der gesetzten Frist die notwendige Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Ist eine Entscheidung nach § 91 III 1 SGB IX getroffen, so gilt die Zustimmung nach § 91 V SGB IX als erteilt, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis gesetzt wurde. Wurde eine Zustimmung innerhalb der Frist nicht gegeben, so gilt diese nach Ablauf der Frist als erteilt.

Um im Rahmen des § 91 V SGB IX „unverzüglich“ zu bestimmen, wird auf die Definition des § 121 I BGB zurückgegriffen, der ein „ohne schuldhaftes Zögern“ fordert. Schuldhaft zögert ein Arbeitgeber dann, wenn das Warten unter allen Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist. Unverzüglich bedeutet jedoch nicht sofort und hat keine bestimmte Zeitspanne innerhalb derer der Arbeitgeber tätig werden muss. Bei der Beurteilung, ob die Unverzüglichkeit eingehalten wurde, kommt es nicht nur auf die objektiven Umstände an. Ferner spielen subjektive Elemente eine Rolle. Wenn der Arbeitgeber nicht weiß, dass er handeln muss, kann kein schuldhaftes Zögern vorliegen.

Der Zugang der Kündigung richtet sich nach dem § 130 BGB.

Arbeitgeber müssen nicht schon dann die Kündigung aussprechen, wenn sie wissen, dass eine Entscheidung des Integrationsamtes getroffen wurde, aber den Inhalt nicht kennen. Sie müssen nicht riskieren, innerhalb der Frist zu kündigen, ohne zu wissen, ob eine Zustimmung vorliegt. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, das Integrationsamt auf Auskunft über den Inhalt der Entscheidung zu drängen. Eine solche Anfrage ist auch nicht vorgesehen, die Bekanntgabe des Inhalts soll durch Zustellung erfolgen, §§ 88 II, 91 I SGB IX.

Der Arbeitgeber muss auch nicht auf nähere Informationen drängen, wenn er weiß, dass der Bescheid in der Post ist und die zwei-Wochen-Frist abgelaufen ist. Einerseits nimmt die förmlich geforderte Zustellung Zeit in Anspruch, andererseits gilt ein solcher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post zugestellt wird, nach dem dritten Tag als zugestellt. Es sei denn, dass der Bescheid nicht ankommt oder erst später ankommt.

(BAG, Urt. V. 19.4.2012 – 2 AZR 118/11)