Eine Lehrerin verletzt erheblich ihre arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn sie Schülern die Münder mit Tesafilm verklebt – eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung ist deshalb wirksam

BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 156/11

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung.
Die Klägerin ist seit 1.7.1991 beim beklagten Land als Lehrerin angestellt. Im Februar 2009 teilten Eltern von Schülern mit, die Klägerin habe zwei Schülern den Mund mit Tesafilm verklebt, nachdem diese den Unterricht gestört haben sollen.
Die beiden Schüler bestätigten die Vorwürfe in Anwesenheit einer Schulpsychologin.
Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31.12.2009.
Im Rahmen der rechtzeitig erhoben Klage bestreitet die Klägerin die Vorwürfe. Sie habe beiden Schülern lediglich scherzhaft Tesafilmstreifen auf deren Backen geklebt. Damit seien die Schüler einverstanden gewesen. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen oder entwürdigende Maßnahmen habe es nicht gegeben.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision des beklagten Landes vor dem BAG hatte Erfolg. Mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen bezüglich der Frage, ob und mit welcher Absicht die Klägerin die Münder der beiden Schüler zugeklebt hatte, verwies das BAG die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.

Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung aus Gründen, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann das Risiko künftiger Störungen nur durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermieden werden. Dies ist jedoch dann nicht möglich, wenn dem Arbeitgeber mildere Mittel zur Verfügung stehen, um die geforderte Vertragstreue des Arbeitnehmers zu bewirken. Als mildere Mittel kommen in diesem Fall insbesondere Abmahnung und Versetzung in Betracht.

Einer Abmahnung bedarf es jedoch nur dann nicht, wenn auch nach Abmahnung eine Verhaltensänderung in Zukunft nicht zu erwarten ist oder die Pflichtverletzung derart erheblich ist, dass deren erstmalige Hinnahme für den Arbeitgeber unzumutbar erscheint.
Eine solch erheblich Pflichtverletzung liegt dann vor, wenn die Lehrerin den Schülern aus Disziplinierungszwecken tatsächlich den Mund mit Tesafilmstreifen verklebt hätte.

Nach § 44 SchulG LSA können Ordnungsmaßnahmen getroffen werden, wenn diese zur Sicherung der Unterrichts- und Erziehungsarbeit oder zum Schutz von Personen erforderlich ist. Die Würde der Schüler darf durch Ordnungsmaßnahmen jedoch nicht verletzt werden.
Nach dem Runderlasses des Kultusministeriums vom 26.05.1994 ist “eine körperliche Züchtigung von Schülern unzulässig” sowie “kränkende, ehrverletzende Äußerungen, Drohungen und Einschüchterungsversuche” untersagt. Daraus folgt, dass das Zukleben eines Schülermundes mit Tesafilm kein zulässiges Erziehungsmittel ist, da dies eine entwürdigende Maßnahme darstellt und die Selbstachtung und das Ehrgefühl erheblich beeinträchtigt. Ob die Kinder dies lediglich als “Spaß” ansehen ist unerheblich, da es auf die objektive Eignung als entwürdigend ankommt.
Einer Abmahnung bedarf es in diesem Fall nicht, da die Lehrerin mit diesem Verhalten massiv gegen ihre Pflichten als Erzieherin verstoßen hätte.

Auch eine Versetzung kommt hier nicht in Betracht, da durch ein solches Verhalten das Vertrauen des beklagten Landes in ihre Arbeitnehmerin, ihren anvertrauten jungen Personen den nötigen Respekt vor ihrer Würde und Verletzlichkeit zu zollen, irreparabel geschädigt wäre.