Altersdiskriminierung bei der Bewerbung – Eine unterbliebene Einladung zum Bewerbungsgespräch kann auch dann eine unzulässige Benachteiligung darstellen, wenn die Stelle durch keinen Bewerber besetzt worden ist

BAG, Urteil vom 23.8.2012 – 8 AZR 285/11

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte suchte über eine Stellenanzeige zwei freiberufliche Mitarbeiter zwischen 25 und 35 Jahren. Der 53-jährige Kläger bewarb sich auf diese Stellenanzeige, erhielt jedoch kein Vorstellungsgespräch. Nachdem die Beklagte zumindest einen Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, sah sie letztlich von einer Einstellung von Mitarbeitern ab.
Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger geltend macht, weil er sich wegen seines Alters benachteiligt sieht.
Die Beklagte bestreitet, den Kläger wegen dessen Alter benachteiligt zu haben. Dieser habe in der ihr vorgelegten Projekthistorie lediglich sieben Monate Projekterfahrung mit der erforderlichen Software vorweisen können. Andere Bewerber hätten mehr Erfahrung als der Kläger gehabt.

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Das BAG wies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LAG zurück.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. Entgegen der Meinung des LAG scheitert eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers nicht allein daran, dass die Beklagte auf die ausgeschriebene Stelle keinen anderer Bewerber eingestellt hatte.

Nach § 3 I AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine weniger günstigere Behandlung erfordert das Zufügen eines Nachteils.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegt eine Benachteiligung bei einer Einstellung bereits dann vor, wenn der Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab entschieden wird. Die Benachteiligung liegt dann in der Versagung einer Chance.

Da die ungünstige Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegt, ist es irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers kommt.
Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es dem Arbeitgeber obliegt, durch geeignete Verfahrensgestaltung, etwa das vorläufige Absehen von einer Stellenbesetzung, die Chancen von Bewerbern wegen ihrer individuellen Merkmale so zu mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar wird. Der Bewerber hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren, der unabhängig von dessen Ausgang besteht.

Bei der Frage der vergleichbaren Situation i.S.d. § 3 I AGG wird das LAG zu prüfen haben, ob der Kläger für die Ausübung der Stelle objektiv geeignet war, da die Auswahlsituation nur für diejenigen Arbeitnehmer vergleichbar ist, die eine objektive Eignung für die Stelle aufweisen können. Dabei ist zur Vermeidung von Willkür des Arbeitgebers auf die Anforderungen abzustellen, die an die jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung gestellt werden.
Kommt das LAG zu der Entscheidung, dass der Kläger für die Stelle objektiv geeignet war und damit unmittelbar nach § 3 I AGG benachteiligt wurde, wird es außerdem zu prüfen haben, ob er tatsächlich wegen seines Alters, d.h. wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, benachteiligt worden ist.