Betriebliche Übung bei übertariflichen Leistungen

– BAG, Urteil vom 29.08.2012 – 10 AZR 571/11 –

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger trat 1985 als Busfahrer in die Dienste einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, mit der das Arbeitsverhältnis seit 1999 besteht. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin zahlten an den Kläger eine jährliche Weihnachtszuwendung aufgrund Tarifvertrags, sowie eine weitere Jahressonderzuwendung auf Grundlage der geltenden Betriebsvereinbarung. Daneben erhielt er weitere Sonderzahlungen. Sie waren in den Lohnabrechnungen unmittelbar jeweils unterhalb der Weihnachts- bzw. Sonderzuwendung als “Weihnachtszuw. a. D-Zusch” bzw. “Sonderzuw. aus D-Zuschl” getrennt ausgewiesen. Ab November 2006 erbrachte die Beklagte keine zusätzlichen Leistungen aus Dienstzeitzuschlägen mehr.

Mit seiner Klage macht der Kläger diese zusätzlichen Weihnachtszuwendungen aus Dienstzeitzuschlägen für die Jahre 2006-2009 sowie die zusätzlichen Sonderzuwendungen aus Dienstzeitzuschlägen für die Jahre 2007-2009 in unstreitiger Höhe geltend.

Die Klage ist begründet. Dem Kläger stehen die Ansprüche auf der Grundlage des Arbeitsvertrages in Verbindung mit den Grundsätzen der betrieblichen Übung zu.

Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber können durch die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers begründet werden, wenn der Arbeitnehmer aus diesem Verhalten schließen, ihm solle ein Anspruch auf eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden (betriebliche Übung).
Maßgeblich dafür ist nicht der tatsächliche Wille des Arbeitgebers, sondern wie der Arbeitnehmer die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben verstehen musste und durfte.

Gleiches gilt grundsätzlich auch für überbetriebliche Leistungen. Die klagende Partei muss in diesem Fall darlegen, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Empfängers ausreichende Anhaltspunkte dafür bot, der Arbeitgeber wolle Zahlungen erbringen, ohne hierzu bereits aus anderen Gründen – etwa aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung – verpflichtet zu sein.

In diesem Fall erhielt der Kläger seit Beginn der 1990er vorbehaltlos höhere Zuwendungen als ihm nach dem Tarifvertrag und der Betriebsvereinbarung zustand. In den Entgeltabrechnungen waren neben den kollektivrechtlich begründeten Zuwendungen andere Zuwendungen aus Dienstzuschlägen gesondert ausgewiesen. Eine kollektivrechtliche Grundlage gab es nicht. Werden gesondert abgerechnete Sonderzuwendungen in der nach der Anordnung des Tarifvertrags nicht geschuldeten Höhe gezahlt., muss der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass diese Leistung gerade nicht in der Erfüllung der kollektivrechtlich begründeten Pflichten erfolgen. Ihre gesonderte Ausweisung kann aus der Sicht des Empfängers nur dahingehend verstanden werden, es handele sich um nach dem Tarifvertrag nicht geschuldete Leistungen. Für eine irrtümliche Zahlung hat die Beklagte keine Anhaltspunkte vorgetragen.